19 Tage auf der anderen Seite der Welt. 19 Tage in Ruanda.

Meine fünf Mitfreiwilligen und ich landeten am Abend des 26.08. mit etwa einer Stunde Verspätung am International Airport Kigali und wurden dort von Fahrern der EPR Church in Empfang genommen. Unsere erste Unterkunft lag direkt neben besagter Kirche und hielt für jeden von uns ein Einzelzimmer mit eigenem Bad bereit. Für ein spätes Abendessen war ebenfalls gesorgt, bei dem wir Damascene kennenlernten. Er würde für die erste Zeit in Kigali unser Ansprechpartner, Lehrer für Kinyarwanda und Guide in Sachen Visa sein. Vor dem Essen wurde gebetet und bevor wir uns auf unsere Zimmer zurück zogen, wurde uns mitgeteilt, dass wir am nächsten Tag gegen 11:00 Uhr die Unterkunft wechseln würden.
Die erste Nacht unterm Moskitonetz war weniger aufregend als gedacht und nach einem schnellen Duschgang schlief ich erschöpft von der langen Reise schnell ein.
Einen Wecker hätte ich mir nicht stellen brauchen, denn der Gesang des Gottesdienstes neben an übernahm diese Rolle.
Nach einem süßen Frühstück räumten wir unsere Koffer nach unten und verkürzten uns die Wartezeit auf die Fahrer mit Kartenspielen. Es war ca. 11:30 Uhr, eine halbe Stunde später als angekündigt, als wir durch die Hauptstadt zum nächsten Hotel fuhren. Diese ruandische Pünktlichkeit bemerkten wir noch öfter und die Anpassung daran gelang schnell und einfach. Für mich eine ungewohnte Eigenart, denn meine Freunde und Freundinnen in Deutschland können sich eigentlich darauf verlassen, dass ich pünktlich bin. 🙂
In unseren vorzeitigen Zuhause angekommen entstand erstmal ein kleines Missverständnis: Für uns waren drei Doppelzimmer hergerichtet, was für eine Personenzahl von sechs eigentlich optimal wäre. Allerdings besteht unsere Gruppe aus drei jungen Frauen und drei jungen Männern. Da wir kein heterosexuelles Ehepaar beinhalten und einem Mitfreiwilligen, aus gesundheitlichen Gründen, ein Einzelzimmer zugesichert wurde, wurde kurzerhand ein weiteres Einzelbett in eines der Doppelzimmer gestellt und so teilten wir drei Mädchen uns eins Zimmer und die Jungs waren auf das Einzel- und Doppelzimmer verteilt.
Hürde überwunden.
Vor dem Mittagessen blieb nur Zeit die Betten zu verteilen, die Koffer abzustellen und Hände zu waschen.

Die WLAN-Verbindung reichte von den Schlafzimmern nicht bis in den Essenssaal und da wir noch keine ruandische Nummer hatten waren unsere Smartphones somit nutzlos. Statt also durch die sozialen Medien zu wischen, waren unsere Mahlzeiten am ersten ganzen Tag gefüllt von Gesprächen und Gelächter. Und weil das so schön war einigten wir uns darauf den Essenstisch zur „Handyfreien Zone“ zu deklarieren, jetzt standen Unterhaltungen, Tagesplanung, beten aber besonders Lachen am Tisch auf dem Programm.

Am Montag, 28.08. stand organisatorisches auf der Tagesordnung:
Geld abheben
SIM-Karten kaufen
Visa-Unterlagen beim Ministry for Foreign Affairs and International Cooperation (kurz MINAFFET) abgeben

Die ersten beiden Punkte wollten wir in der Nähe des Hotels erledigen, bevor ein Fahrer uns nach dem Mittagessen zum MINAFFET bringen würde.
Leichter gesagt als getan. Wir versuchten unser Glück an bestimmt mehr als fünf Geldautomaten, doch keiner wollte uns Bargeld ausspucken. Damascene schlug vor uns das Geld für die SIM-Karten und die ersten mobilen Daten auszulegen und es später im Zentrum bei der Bank of Kigali erneut zu probieren. Gesagt getan.
Bei der Bank angekommen schien es wieder nicht funktionieren zu wollen, bis einer von uns (vermutlich aus Frust) einfach mal versuchte mehr Geld abzuheben und siehe da: Es funktionierte!

Kleiner Tipp am Rande:
Umgerechnet müssen mindestens 50€ abgehoben werden
Den richtigen PIN einzugeben ist erforderlich 😉
Außerdem kann bei der Coge Banque gebührenfrei abgehoben werden.

Jetzt da alles geklappt hat konnten wir Damascene zurückzahlen und unsere Unterlagen beim MINAFFET einreichen und somit den ersten Schritt auf unsere „How to Visa – Liste“ abhaken. In einer Woche würden wir die Unterlagen wieder abholen und zum Immigration Office bringen können.
Die beiden Folgetage verbrachten wir überwiegend im Hotel mit Kinyarwanda lernen und wir schlossen unsere erste lokale Freundschaft, zumindest dachten wir das, bis sich wenige Tage später herausstellte, dass er über uns versucht hat an Geld zu kommen…
Doch die positiven Erfahrungen überwogen dieses Ereignis.
Zum Beispiel am Donnerstag, 31.08. fuhren wir das erste Mal mit den Mototaxis zum Convention Center um von dort aus vorbei an verschiedenen Botschaften zu der Inema Arts Gallery zu laufen. Die Fahrt war aufregend und ich muss gestehen, dass ich etwas Angst hatte, aber wie meine Mama so schön gesagt hat: Vertrauen ist alles.

Und obwohl bei einem Taxi kurz vor Ziel der Tank leer war kamen wir alle heile an. Als Bezahlung nutzen wir zum ersten Mal MoMo (MobileMoney, muss vorher aufgeladen werden und kann dann zum Verschicken von Geld genutzt werden), dabei stellten wir fest, dass wir unterschiedliche Preise für die gleiche Strecke zahlen mussten. Später stellte sich heraus, dass manche den fairen Höchstpreis und andere zu viel bezahlt haben.
In der Kunstgalerie kamen wir mit dem Besitzer und Künstler Innocent ins Gespräch und er lud uns zu Kaffee ein. Nach kurzer Zeit gesellte sich Moses zu uns (ein ehemaliger Süd-Nord-Freiwilliger) mit dem wir in der Nähe indisch Mittag aßen.
Am Nachmittag bekam ich noch einen kurzen Besuch von meiner Mentorin Violette, die gerade auf dem Weg war meine Mitfreiwillige aus Tansania vom Flughafen abzuholen.
Am nächsten Tag verließen wir das Hotel direkt nach dem Frühstück und fuhren mit Mototaxis zum Genocide Memorial. Wir verbrachten mehrere Stunden im Stillen an den Gräbern und im Museum. Die Stimmung war erdrückend. Immer wieder stiegen mir Tränen in die Augen. Die Frage wie Menschen so grausam sein können schwebte die ganze Zeit durch meine Gedanken. Von der Gruppe habe ich mich sehr gut unterstützt gefühlt. Wir sprachen noch über das Gesehen, zogen uns aber nach dem Mittagessen alle erstmal zurück. Am späteren Nachmittag haben wir uns weiter mit der Geschichte Ruandas beschäftigt und sind ins Parlament gegangen, wo es die Ausstellung „Campaign Against Genocide“ gibt. Neben den Gräueltaten wurden auch viele heldenhafte Aktionen dargestellt, die mir ins Gedächtnis riefen, dass es auch einige hilfsbereite Menschen gibt. Ich finde es zu dem sehr bemerkenswert, wie gut die Aufarbeitung funktioniert und wie Opfer den Tätern vergeben haben und jetzt wieder in Frieden und Freundschaft miteinander leben können.
Den emotional aufwühlenden Tag wollten wir mit positiven Gefühlen und einem vollen Magen ausklingen lassen. Wir gingen im Issa Café etwas essen als ziemlich genau um 20:15 am Freitag, 01.09. Primetime hieß. Der Strom fiel für eine halbe Minute aus und der Himmel riss auf. Die Regenzeit hat pünktlich angefangen. Die Menschen auf der Straße flüchteten sich schnell in die umliegenden Lokalitäten und umgeben von vielen Menschen saßen wir den Regen einfach ein einhalb Stunden aus. Auf den ersten Mototaxis, die wieder fuhren, saßen wir. Gerade als wir durch das Eingangstor gingen prasselten die nächsten Regentropfen, der Himmel wurde erneut von Blitzen erhellt und der Donner grölte. Schnell stellten wir uns unter und bemerkten, dass wir einen vermissten… Telefonisch stellten wir sicher, dass bei Florens alles klar war und rannten dann durch den Regen zu unseren Zimmern.
Am Sonntag wollten Lukas, Janna, Clara und ich zu unserem ersten Gottesdienst in Ruanda gehen. Damascene organisierte uns eine Mitfahrgelegenheit zum englischen Gottesdienst bei der EPR Church. Der Gottesdienst dauerte ca. zwei Stunden und wir wurden von der Gemeinde herzlich willkommen. Die Predigt hielt ein weißer Pastor aus den USA, weil seine Gemeinde eine Gemeinschaft mit dieser in Ruanda pflegt. Es stellte sich heraus, dass wir in der gleichen Unterkunft lebten und wir unterhielten uns kurz.
Für Linus, Lukas und mich war am nächsten Morgen der letzte Tag angebrochen.
Wir holten unsere Unterlagen aus dem MINAFFET ab und brachten sie zum Immigration Office. Unseren halben Tag verbrachten wir damit auf die Bearbeitung unserer Unterlagen zu warten. Nach dem Mittagessen hieß es dann Koffer packen und schlafen. So ein Tag voll mit Warten ist schließlich sehr anstrengend.
Am Dienstag, 05.09. gegen 10:00 Uhr holten Eric, der Chef von RDIS, und Jonas, der Mentor von Linus, Linus, Lukas und mich ab. Unser erster Stop auf der Reise nach Kigeme war Muhanga. Dort aßen wir im Hauptbüro von RDIS zu Mittag und lernten Linus Kollegium kennen. Kurz darauf mussten Lukas und ich uns zum zweiten Mal an einem Tag von unserem Mitfreiwilligen verabschieden. Kurz vor Kigeme machten wir einen Halt in Nayamagabe, um Geld abzuheben und uns kurz die Beine zu vertreten. Unsere Reisebegleitung war ganz erpicht darauf uns schon jetzt allen möglichen Menschen vorzustellen. Nach einer kurzen Führung vorbei am Markt und vielem Händeschütteln später ging es im Auto weiter.
Meine Vorfreude stieg. Endlich sehen wo ich ein Jahr leben werde. Endlich Koffer auspacken. Oder? Nicht ganz.
Mit dem Auto hielten wir vor der Schwesternschaft in Kigeme und uns wurde gesagt, dass wir erstmal für die nächsten drei Tage hier Gästezimmer beziehen würden. Um diese neue Information zu verarbeiten blieb allerdings kaum Zeit, denn es sollte jetzt noch auf jeden Fall eine Runde durchs Dorf gegangen werden. Dieser kleine Spaziergang war davon geprägt angestarrt zu werden, wieder viele Hände schütteln zu müssen und von kleineren Kindern, die uns hinterherliefen. Mir war das alles auf einmal zu viel. Zu viel Neues. Zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel Körperkontakt.
Als wir endlich zurück bei den Schwestern waren brachen meine Gefühle aus und ich musste erstmal etwas weinen. Doch auch dafür blieb nicht viel Zeit. Der Bischof und seine Familie luden zum Abendessen ein, um uns zu begrüßen. Dort fühlte ich mich wohler und wir lernten die Süd-Süd-Freiwillige kennen, mit der ich zusammen wohnen würde. Als ich Zähne putzen gehen wollte nahmen mich zwei Schwestern bei der Hand und zeigten mir ihre privaten Waschräume, die ich nun auch benutzen durfte. Beim Zähneputzen bekam ich Assistenz von ihnen, da sie mir unbedingt meine Sachen anreichen wollten. Mir war das alles etwas unangenehm, später kam mir allerdings der Gedanke, dass es sich dabei wahrscheinlich einfach nur um eine Geste der Gastfreundschaft handelte.
Die nächsten drei Tage waren wir unterwegs. Wir mussten Unterlagen beim Immigartion Office in Nyamagabe nachreichen, was wir mit Violette erledigten. Um dort hin zu gelangen mussten wir zum ersten Mal den Bus nehmen. Die Busfahrt war schwer für mich, weil die Menschen uns beobachteten und sogar gehäuft „Musumgu“ (Bezeichnung für weiße Menschen, mit vielen Stereotypen belastet) genannt. Als wir mit dem Bischof zu einer Konfirmation in Nayamagabe fuhren ließen die Blicke auch noch nicht nach.
Der Gottesdienst dauerte ca. vier Stunden und war sehr anstrengend, obwohl ich einen Pastor und Ahab neben mir hatte, die mir den Gottesdienst übersetzten. Davor und danach aßen wir bei der Gemeinde.
In der gleichen Woche besichtigten wir Freiwilligen noch beide Schulen in Kigeme und sahen nach wie weit unser Haus schon war. Es wurde bereits geputzt und ich verspürte Hoffnung bald einziehen zu können. Zum Abendessen kochten die Schwestern Spaghetti mit Tomatensoße, mein Lieblingsessen. 🙂
Am nächsten Morgen war von meiner neugewonnen Hoffnung nicht mehr viel übrig. Der Regen schlug auf mein Gemüt und den Samstag verbrachte ich damit auf meinem Zimmer zu lesen. Doch für Trübsal blasen hatte ich nicht viel Zeit. Zum ersten Mal ging es in den Sonntagsgottesdienst hier in Kigeme. Ich zog mir ein Kleid und Schuhe an, machte mich zurecht, griff nach meinem Regenschirm und der Bibel und ging gemeinsam mit Lukas, den Schwestern und Ahab zur Kirche. Im Gottesdienst stellten Lukas und ich uns der Gemeinde auf Kinyarwanda vor, die Reaktionen waren voller Freude, was mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Den Rest des Tages verbrachten wir mit Kartenspielen während es draußen regnete. Sonntag eben. Abends besuchte uns noch die Frau vom Bischof, Mama Sharlom, um zu hören wie es uns hier so geht. Wir tranken Tee und aßen Amandazi (afrikanische Quarkbällchen, sehr lecker!). Am Montagmorgen stand ich um 06:30 Uhr, denn es ging für mich wieder auf eine Konfirmation gemeinsam mit dem Bischof. Diesmal fand der Gottesdienst ein Ort weiter statt, in Violettes Gemeinde. Bei ihr aßen wir zum Frühstück Ciapati (Fladenbrot) und Rindersuppe (diese Kombination wird hier mein absolutes Lieblingsessen).
Am Dienstag, 12.09. konnten wir morgens in Nyamagabe unser Visum abholen. Im gleichen Zug wollten wir unsere Foreigner ID beantragen, mit der wir uns in diesem Jahr ausweisen können ohne unseren Reisepass dabeihaben zu müssen. Den Antrag dafür stellten wir bei einem Internetshop weiter im Zentrum von Nyamagabe. Dort mussten wir auch noch Passfotos machen lassen: auf der Straße vor einem weißen Laken. In Deutschland unvorstellbar.

Zurück in Kigeme bekamen wir die Mitteilung am Abend um 18:00 Uhr in unser Haus einziehen zu können! Wäre da nicht der Regen… Doch zum Glück verzögerte dieser den Einzug nur um ein einhalb Stunden. Es fehlten noch ein paar Kleinigkeiten aber ich bin überglücklich endlich ein Zuhause hier zu haben und vor allem endlich meine Koffer auspacken zu können.

4 Responses

  • Britta Wieboldt-Hoffmeister

    Hallo Lotta, wir haben von Jannes deinen Link bekommen und sind gerade mit dir mitgereist ! Es freut uns, dass du gut angekommen bist und hoffen, die positiven und schönen Erlebnisse überwiegen weiterhin. Liebe Grüße, Britta und Peter

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    • Lotta Nähring

      Hallo Britta und Peter!
      Vielen Dank für die netten Worte von euch. 😊

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  • Oma Annette

    Liebe Lotta, dein Bericht liest sich wie ein Roman.Ich fühle mich wie eine Mitreisende. Du klingst sehr positiv unddas freut mich sehr.
    Fortsetzung folgt?
    Liebe Grüsse und eine Umarmung von Oma Annette

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    • Lotta Nähring

      Hallo Oma, es freut mich sehr das zu hören! Na klar wird es eine Fortsetzung geben. 😉
      Umarmung zurück.

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