Eigentlich will ich gar nicht wissen, um welchen Faktor sich mein ökologischer Fußabdruck in den vergangenen neun Monaten vervielfacht hat. Auch ohne Berücksichtigung der vielen Flugkilometer, scheint mein indonesischer Alltag die Umwelt stark zu belasten. Ich muss mir nur vergegenwärtigen, wie häufig ich Wasser aus zugeschweißten Bechern trinke, Müll in ein Feuer werfe oder meinen Alltag mit dem Motorrad bewältige. Für viele Indonesier:innen Normalität. Fahren wir an Palmölplantagen vorbei, denke ich zwangsläufig an die vorangegangene Entwaldung. Das Verschwinden der Mangroven soll noch besorgniserregender sein. Kaum vorstellbar die Umweltbelastung, die aus dem Kohle-, Kupfer- und Nickelabbau resultiert[1].
Ein Blick auf die Zahlen. Die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Statistik lässt erstaunen und war gleichzeitig erwartbar. Dieses Jahr wurde der deutsche „Earth Overshoot Day“[2] am 2. Mai ausgerufen[3]. Der indonesische war 2023 auf den 24. November datiert[4]. In Deutschland liegt der jährliche Verbrauch von CO2-Emissionen bei 10,8 Tonnen pro Kopf. Hier bei 2,65. Und dennoch fällt es mir schwer, diese Zahlen in meinem Alltag zu sehen. Nicht selten habe ich das Gefühl, all das, was ich mit umweltbewussten Verhalten assoziiere, hier nicht umsetzen zu können.
Verpackungen in Einkaufsläden. Tüten auf den Märkten. Der Juice to go. Plastik ist überall. Darauf zu verzichten, fast nicht möglich. Die Reduktion von Kosten beeinflusst die Kaufentscheidungen vieler mir Bekannter maßgeblich. Nicht immer im Sinne des Umweltschutzes. Meine Freund:innen in Kabanjahe haben so bspw. Hygieneprodukte in kleinen Tüten eingekauft, die genau für eine Anwendung reichten. In unzähligen Kiosk werden nach demselben Prinzip Snacks und Getränkepulver verkauft.
Auch im Mobilitätsbereich sehe ich Entwicklungsbedarf. Das gängigste Fortbewegungsmittel ist das Motorrad. Fahrräder werden für den morgendlichen Sport genutzt. Das Zufußgehen sorgt für allgemeine Verwunderung. In größeren Städten staut sich gerade am Nachmittag der Verkehr. Die Fußgängerwege so nicht selten von ausweichenden Motorrädern eingenommen. Immer wieder sieht man Menschen, die sich mit Masken vor den Abgasen schützen. Denn per Zug kann man sich ausschließlich auf Java fortbewegen. Das Ticketsystem ist vollständig digitalisiert. Die Züge pünktlich und gut ausgestattet. Flächendeckende Busnetze findet man dagegen fast überall. Sowohl für Kurz- als auch Langstrecken. Unfassbar günstig. Doch mit einer Busfahrt gehen lange Wartezeiten einher. Ein Busplan existiert nicht. Im Alltag werden die sogenannten „Angkot2“ vor allem von älteren Frauen und Kindern genutzt. Zurückzulegende Strecken sind oft nicht mit denen in Deutschland vergleichbar. Eine 5-stündige Anfahrt für einen 3-stündigen Aufenthalt in einem Zoo schien bei AO niemanden überrascht, zu haben.
Und mir fällt noch so viel mehr ein. Mülltrennung habe ich bisher nur an touristischen Orten gesehen. In Kabanjahe gehörte die Verbrennung des Abfalls zur Abendroutine. Das Seifenwasser wird nach einem Hausputz einfach in den nächsten Busch geschüttet. Nachts werden die Lichter in den Häusern angelassen. Sicherheit steht über Energiekosten. Ist ein Plastikbecher in Nordsumatra leer getrunken, wird er einfach aus dem Autofenster geschmissen. Einige Gewohnheiten schockieren mich immer wieder aufs Neue und gleichzeitig erschreckt mich, wie bestimmte Verhaltensweisen auf für mich Normalität wurden.
Auf der anderen Seite ist Kostenreduzierung auch der Grund für Praktiken, die gute Beispiele für umweltfreundliches Handeln sind. So wird auf der Toilette Wasser anstelle von Papier verwendet. Die gängigen Waschmaschinen funktionieren halbautomatisch. Sie erhitzen das Wasser nicht. Familien mit geringerem Einkommen und Alleinstehende nutzen meist Waschsalons. Auch das Waschen mit der Hand ist weiterhin verbreitete Praxis.
Darüber hinaus steht neben jeder Spüle eine Schüssel mit in Wasser aufgelösten Spülmittel. Der Verbrauch des Mittels wird dadurch drastisch minimiert. Bestellt man in indonesischen Restaurants Essen zum Mitnehmen, wird dieses in Bananenblättern und Pappe verpackt. Bringt man beim Kauf einer neuen Wassergallone die alte zurück, reduziert man den Preis immens. Manchmal beschwere ich mich, seit 9 Monaten täglich dasselbe zu essen. Jedoch bezweifele ich, mich über den Zeitraum eines Jahres je wieder so regional und saisonal ernähren zu können. Secondhandläden findet man an jeder Straßenecke. Meistens bestückt mit importierten Waren aus Europa. Kaputtes wird versucht, zu reparieren. Vor kurzem habe ich einen Reißverschluss für 1,2 € austauschen lassen. Preise, die auch mit einem indonesischen Lohn finanzierbar sind. Zudem machen die Standardtemperaturen jegliche Form des Heizens überflüssig. Streamingdienste sind nicht verbreitet. Vielen Menschen fehlt die Zeit und das Geld zum Reisen.
Ich nehme beide Seiten der Leben wahr. Der Leben von Individuen. Noch so viele weitere Beispiele hätte ich nennen können und letztlich ist die Relevanz doch bedingt. Der individuelle Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel ist unersetzlich, aber entscheidende Impulse müssen von Politik und Wirtschaft ausgehen. Hier geht es schlichtweg um Wirkmächtigkeit. Betrachten wir dies unter Berücksichtigung der kausalen Beziehung eines prosperieren BIPs pro Kopf und steigender Umweltbelastung, lassen sich die zu Beginn genannten Zahlen leicht erklären. Ob das Leben der Indonesier:innen nun umweltschonender ist oder nicht, kann in keinem Fall pauschal beurteilt werden. Das Einschätzen einer Tendenz wage ich nicht. Zum einen, weil mir das Wissen fehlt, mit dem Handlungen konkreten Zahlen zugeordnet werden können. Zum anderen, da ich sowohl deutsche als auch indonesische Lebensrealitäten selektiv wahrnehme und demnach nur auf dieser Grundlage beurteilen könnte. Doch die eingangs genannten Zahlen stehen für sich. Sie sagen viel über angesiedelte Sektoren und im Falle Deutschlands Prioritätensetzung der politischen Entscheidungsträger:innen aus. Betrachten wir nun die Umweltbelastung von Staaten des globalen Südens und Nordens vergleichend, sollte uns das aus meiner Sicht vor allem eines aufzeigen: Einen weiteren Grund, von Entwicklungsnarrativen im Sinne eines vermeintlich westlichen Vorbilds Abstand zu nehmen.
Nichtsdestotrotz haben wir einen Punkt erreicht, an dem sich kein Staat, kein Unternehmen, kein Mensch es sich leisten kann, auf Andere zu hoffen. Die erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels erfordert ein Verantwortungsgefühl auf allen erdenklichen Ebenen. Thematisierung. Sensibilisierung. Das scheint mir in Indonesien besonders wichtig. Einen Plastikbecher in den Dschungel zu werfen? In Deutschland undenkbar. Indonesier:innen aus unterschiedlichen Landesteilen beklagen mir gegenüber das mangelnde Umweltbewusstsein in weiten Teilen der Zivilbevölkerung. Ein Problem, das in ruralen Regionen noch stärker ausgeprägt sei. Aufklärung keine Priorität der Regierung. Umweltschutz für so viele noch immer eine äußerst abstrakte Bedrohung.
Darüber hinaus ist Indonesiens Resilienz in Folge fortschreitender Erderwärmung durch geografische Voraussetzungen determiniert. Erdrutsche. Vulkanausbrüche. Tsunamiewarnungen. Erdbeben. Die Nachrichten der letzten Monate stehen für sich. Die Vulnerabilität des Inselstaates nicht zu leugnen. Seit einigen Jahren steht die Verlegung der Hauptstadt nach Kalimantan fest. Ein zentraler Grund ist der Anstieg des Meeresspiegels und das Absinken der Milliardenstadt Jakarta als Folge. Lange habe ich darüber gelacht, wenn jemand bei einsetzenden Regen aufsprang und, „ada hujan!!“ [Es regnet.], rief. Wenn sich Indonesier:innen besorgt umschauten und temporär jegliche Aktivitäten aussetzten. Dann sah mich ein Freund einmal ernst an und erwiderte: „Maria, wir leben auf Inseln. Bei jedem Regen müssen wir uns der realen Bedrohung einer Naturkatastrophe bewusst sein. Das hat uns unsere Vergangenheit gelehrt“. Einsichtig erstarb mein Lächeln. Das Konzept der Klimagerechtigkeit erschien mir noch nie so greifbar. Noch nie so drängend.
Indonesien steht vor ganz eigenen Herausforderungen. Hinzukommen, föderalistische Strukturelemente, die sich in langwierigen Implementierungsprozessen äußern und Verantwortliche immer wieder vor kommunikative Herausforderungen stellen. Gerade in einem so riesigen Staat wie Indonesien. Unumgehbar ist somit eine Zusammenarbeit von Zentralregierung, National- und Provinzparlamenten und Zivilgesellschaft. Die „westliche Welt“ kann kaum als Vorbild dienen. Neue Wege müssen gegangen werden. Neue Narrative erzählt, neue Konzepte entwickelt werden. Indonesien steht vor ganz eigenen Herausforderungen. Und wer weiß? Vielleicht bergen kollektivistische Prägung und der Blick für Mitmensch und Natur ein Potenzial, dessen Auswirkungen uns im globalen Norden noch erstaunen lassen.
[1] https://fid4sa-repository.ub.uni-heidelberg.de/4627/1/SAH_Blickwechsel_Indonesien_Bergbau_11-22.pdf (letzter Zugriff am: 26.04.2024)
[2] “Earth Overshoot Day marks the date when humanity’s demand for ecological resources and services in a given year exceeds what Earth can regenerate in that year. We maintain this deficit by liquidating stocks of ecological resources and accumulating waste, primarily carbon dioxide in the atmosphere.” (https://overshoot.footprintnetwork.org/about-earth-overshoot-day/ (letzter Zugriff am: 26.04.2024))
[3] https://overshoot.footprintnetwork.org/newsroom/country-overshoot-days/ (letzter Zugriff am: 26.04.2024)
[4] https://overshoot.footprintnetwork.org/newsroom/country-overshoot-days/ (letzter Zugriff am: 26.04.2024)
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