9 Stunden Schlaf in drei Tagen. Dementsprechend hoch war mein Energielevel, als wir am Flughafen in Medan ankamen. Das Gepäck aus den Folien gepackt, die dicken Klamotten verstaut, liefen wir aufgeregt in die Ankunftshalle. Meine Mentorin Hera Bangung erwartete mich schon.
3 Stunden Autofahrt nach Kabanjahe standen uns noch bevor. Ein Bus fuhr vor und ein Mann saß rechts am Steuer. Ich warf meine zwei Rucksäcke und den Koffer auf die Rückbank und schon fuhren wir los. Zunächst war ich damit beschäftigt, den Anschnallgurt zu finden. Ein aussichtsloses Vorhaben, wie ich feststellte.
Die ersten Straßen von Medan rauschten an uns vorbei. Es war voll. Autos, Busse, Fußgänger*innen und unzählige Motorräder, die sich von allen Seiten durch den Verkehr drängelten. Am Straßenrand sah ich Läden mit knalligen Werbeplakaten. Kinder, die auf Terrassen saßen oder gefährlich nah an der Straße spielten. Immer wieder imposante Moscheen. Ich hatte das Gefühl, mir Postkarten anzuschauen. Konnte nicht realisieren, tatsächlich auf Sumatra angekommen zu sein. Ich war so beeindruckt von der Lebendigkeit der Straße. Es wurde gehupt, Motoren heulten auf, alles war in Bewegung. Staunen ließ mich die Gelassenheit der Fahrer*innen. So etwas kannte ich aus vergleichbaren Verkehrssituationen in Deutschland nicht.
Nach 20 min Fahrt hielten wir an einem kleinen Restaurant am Straßenrand. Das Essen kam. Ich aß die ersten Gabeln. Da erklärte Hera mir, dass in dieser Region mit der Hand gegessen würde. Also legte ich die Gabel weg und formte kleine Klumpen aus Reis, Tofu und Soße mit meinen Fingern. Einige Frauen und Männer wollten Fotos mit mir machen. Sie sagten, ich sei so hübsch. Das sie das fanden, lag wohl weniger an mir und mehr an meiner Hautfarbe.
Auf der Weiterfahrt fielen mir völlig erschöpft die Augen zu. Ab und zu erwachte ich, weil ein Loch oder scharfes Abbremsen meinen Kopf in eine Richtung warf. Schließlich kamen wir in Kabanjahe an. Direkt wurde ich dem gesamten Vorstand meiner Einsatzstelle („Alpha Omega“) vorgestellt. Es gab Kuchen und Café. Ein Mann neben mir trank ein grünes Getränk mit braunen Streifen am Tassenrand. Avocado-Café, erklärte er mir. Bei einer Führung durch das Gelände lernte ich unzählige Menschen kennen. Unter allen fühlte ich mich direkt wohl. Neben meinem Namen, Herkunft und Arbeit wurde ich häufig nach der Anzahl meiner Geschwister gefragt. Darauf folgte meist die Frage, das wievielte Geschwisterkind ich sei. Ich merkte schon in diesen ersten Stunden, dass ich um das Lernen von „Bahasa Karo“, der Regionalsprachen nicht herumkommen würde. Ältere Menschen und kleine Kinder konnten meist kein Indonesisch und auch ansonsten sprachen die Menschen hier eigentlich nur Karo.
Gegen Abend fuhren wir nach Juma Lingga. Das liegt 5 km von Kabanjahe entfernt und besteht nur aus dem zweiten Standort meiner Einsatzstelle. Wir fuhren 10 min, dann bogen wir auf einen ungepflasterten Weg ab. Der Bus fuhr an verschiedensten Plantagen vorbei und dann erschienen die ersten Häuser. In Juma Lima sind die Kinder untergebracht. Viele von ihnen besuchen tagsüber die Schule von Alpha Omega in Kabanjahe. Dort werden Kinder mit Beeinträchtigungen unterrichtet. Neben den Kindern wohnt hier das betreuende Personal und eine Pastorin. Es gibt eine Küche, Kühe und Schafe. Überall laufen Hunde und Katzen herum. Hier steht seit kurzem auch das Freiwilligenhaus.
Zu Abend aßen wir gemeinsam in einem kleinen Restaurant in der Nähe. Wie schon beim Mittagessen wurde vor dem Essen gemeinsam gebetet. Ich nutze die Momente für Dankbarkeit und Reflexion. Nach dem Essen rauchten die Männer noch einige Zigaretten, dann fuhren wir zurück.
Auf der Rückfahrt fragt mich Hera, welcher Religion ich angehöre. Sie selber sei überzeugte Christin. Ich kannte die Pancasila. Die Staatsprinzipien Indonesiens. Der Glaube an einen Gott, Humanität, Einheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Der Glaube an einen Gott…Eine hohe Akzeptanz des Pluralismus an Religionen erlebte ich schon am ersten Tag. Atheistin zu sein, würde mir das Leben aber nicht einfacher machen, das wusste ich. Doch ein Jahr einen Glauben zu spielen, war für mich keine Option. Also sagte ich ehrlich, dass ich keiner Religion angehöre, erörterte aber darauffolgend Fragen, die aus meiner Sicht durchaus diskutabel waren. Die Existenz von Schicksal, einer höheren Aufgabe des Menschen, ein übergeordnetes Ordnungsprinzip usw. Das verstand Hera gut. Vielleicht eröffne mir das Jahr in diesem Land ja den Zugang zu einer Religion, war ihre Antwort. Missionieren wollten sie mich aber natürlich nicht.
Wieder in Juma Lima angekommen, wurde ich verabschiedet. Zwei Frauen sagten, ich könne Sie „ibu“ (Mutter) nennen. Was das bedeute, wusste ich nicht. Ich sagte: „Terimakasih“.
Nach 3 Tagen auf Reisen lag ich nun wieder in einem Bett. Nur wenn ich diagonal lag, konnte ich meine Beine ausstrecken. Draußen hörte ich Hunde bellen, Mücken summen. Ich war umgeben von einem Moskitonetz. Der Jet lag ließ mich nicht schlafen.Da war ich nun also. Auf der anderen Seite der Welt. Fern von Zuhause und allem, was ich kannte. Unzählige Eindrücke an einem einzigen Tag. Menschen und Orte, die ich nicht einordnen konnte. Eine Sprache, die ich nicht verstand.
Und dennoch war ich verdammt glücklich. Glücklich, ein solchen Abenteuer erleben zu dürfen. Die ersten Wochen werden anstrengend werden. Es wird Phasen geben, die nicht leicht werden. Doch hoffentlich, mit etwas Zeit wird mein Zimmer zu meinem Zuhause. Die lieben Menschen zu Freund*innen. Die neue Kultur Alltag.
Und vielleicht hast Du Lust, mich zu begleiten. Auf dieser großen Reise. Mit allen großartigen Momenten, potenziellen Konflikten und allem sonst, was so zum Leben dazugehört.